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(April 26, 2007, Oldenburg)
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Hallo, ich bin Jutta Schwarzkopf, und diese Woche ist es an mir, zu diesem blog beizutragen. Wie einige vielleicht wissen, bin ich zur Zeit nicht in Oldenburg, sondern lehre seit Ende Februar an der Universität Paris VIII. Dies ist einerseits eine typische banlieue-Universität - in diesem Falle handelt es sich um einen Ort unmittelbar nördlich von Paris -, andererseits ist sie aber besonders, denn sie wurde als Reaktion auf die Ereignisse des Mai 1968 in Frankreich gegründet als eine bewußte Alternative zum herkömmlichen hiesigen Universitätssystem. Die Diskussion über das Maß der zwischenzeitlichen Veränderungen ist noch in vollem Gange, und damit bin ich direkt beim Thema des heutigen blog. Gewöhnlich veranstalte ich am Montag Nachmittag ein Seminar für BA-Studierende im dritten Jahr, das von 15-18 Uhr stattfindet, wie alle Lehrveranstaltungen also drei Stunen dauert. Es hat ein wenig gedauert, bis ich mich an diesen Arbeitsrhythmus gewöhnt hatte. Heute aber war alles etwas anders, denn heute fanden die Etats Généraux statt. Hierbei handelt es sich um eine Uni-Vollversammlung unter Beteiligung aller Statusgruppen. Normalerweise hieße eine solche Veranstaltung Assemblée Générale, doch die Bezeichnung Etats Généraux, die mich sofort an die Französische Revolution denken ließ, war mit Bedacht gewählt worden, signalisiert sie doch mit ihrem Bezug auf den Vorlauf zu den Ereignissen von 1789 das Bestreben nach mehr oder weniger tiefgreifender Veränderung. Um den Bezug zur Revolution komplett zu machen, waren zur Vorbereitung der heutigen Veranstaltung cahiers des doléances gesammelt worden, d.h. die Studierenden hatten die Möglichkeit, in den einzelnen Seminaren zu äußern, was ihnen an der Universität gefällt und welche Veränderungen sie sich wünschen. Diese doléances wurden dann auf Institutsebene zu einer Synthese zusammengeführt und sodann der Vorbereitungsgruppe für die heutige Veranstaltung zugeleitet. Dementsprechend gliederte sich diese in einen Teil, in dem es um die Belange der Studierenden ging, einen weiteren, in dem die Belange der Lehrenden im Mittelpunkt standen, wobei immer wieder auch die Arbeitsbedingungen jener Statusgruppe zur Sprache kam, die bei uns MTV heißt, hier aber unter der wohlklingenden Abkürzung IATOS firmiert. Eröffnet wurde die Veranstaltung vom Präsidenten der Uni. Seine Rede war ein gutes Beispiel für die Meisterung der akademischen Rhetorik, die hierzulande einen Akademiker oder eine Akademikerin auszeichnet. Inhaltlich wies er sich, von Haus aus Jurist, als Fürsprecher der Bewahrung des humanistischen und republikanischen Erbes aus, aus dem die Universität als Institution hervorgegangen ist. Auf dieser Grundlage übte er deutliche Kritik an den Plänen des neugewählten Präsidenten der Republik, der im Wahlkampf seine Absicht bekundet hat, in den Universitäten all jene Fächer zu schließen, die nicht zu unmittelbar auf dem Arbeitsmarkt verwertbaren Qualifikationen führen. Im Klartext: weg mit Philosphie und alten Sprachen, statt dessen mehr Studienplätze in Ökonomie, BWL, Informatik. Nach der Stimmung auf der heutigen Veranstaltung zu urteilen, wird sich diese Absicht in Paris VIII nicht umstandslos umsetzen lassen.
 
Hallo, ich bin Jutta Schwarzkopf, und diese Woche ist es an mir, zu diesem blog beizutragen. Wie einige vielleicht wissen, bin ich zur Zeit nicht in Oldenburg, sondern lehre seit Ende Februar an der Universität Paris VIII. Dies ist einerseits eine typische banlieue-Universität - in diesem Falle handelt es sich um einen Ort unmittelbar nördlich von Paris -, andererseits ist sie aber besonders, denn sie wurde als Reaktion auf die Ereignisse des Mai 1968 in Frankreich gegründet als eine bewußte Alternative zum herkömmlichen hiesigen Universitätssystem. Die Diskussion über das Maß der zwischenzeitlichen Veränderungen ist noch in vollem Gange, und damit bin ich direkt beim Thema des heutigen blog. Gewöhnlich veranstalte ich am Montag Nachmittag ein Seminar für BA-Studierende im dritten Jahr, das von 15-18 Uhr stattfindet, wie alle Lehrveranstaltungen also drei Stunen dauert. Es hat ein wenig gedauert, bis ich mich an diesen Arbeitsrhythmus gewöhnt hatte. Heute aber war alles etwas anders, denn heute fanden die Etats Généraux statt. Hierbei handelt es sich um eine Uni-Vollversammlung unter Beteiligung aller Statusgruppen. Normalerweise hieße eine solche Veranstaltung Assemblée Générale, doch die Bezeichnung Etats Généraux, die mich sofort an die Französische Revolution denken ließ, war mit Bedacht gewählt worden, signalisiert sie doch mit ihrem Bezug auf den Vorlauf zu den Ereignissen von 1789 das Bestreben nach mehr oder weniger tiefgreifender Veränderung. Um den Bezug zur Revolution komplett zu machen, waren zur Vorbereitung der heutigen Veranstaltung cahiers des doléances gesammelt worden, d.h. die Studierenden hatten die Möglichkeit, in den einzelnen Seminaren zu äußern, was ihnen an der Universität gefällt und welche Veränderungen sie sich wünschen. Diese doléances wurden dann auf Institutsebene zu einer Synthese zusammengeführt und sodann der Vorbereitungsgruppe für die heutige Veranstaltung zugeleitet. Dementsprechend gliederte sich diese in einen Teil, in dem es um die Belange der Studierenden ging, einen weiteren, in dem die Belange der Lehrenden im Mittelpunkt standen, wobei immer wieder auch die Arbeitsbedingungen jener Statusgruppe zur Sprache kam, die bei uns MTV heißt, hier aber unter der wohlklingenden Abkürzung IATOS firmiert. Eröffnet wurde die Veranstaltung vom Präsidenten der Uni. Seine Rede war ein gutes Beispiel für die Meisterung der akademischen Rhetorik, die hierzulande einen Akademiker oder eine Akademikerin auszeichnet. Inhaltlich wies er sich, von Haus aus Jurist, als Fürsprecher der Bewahrung des humanistischen und republikanischen Erbes aus, aus dem die Universität als Institution hervorgegangen ist. Auf dieser Grundlage übte er deutliche Kritik an den Plänen des neugewählten Präsidenten der Republik, der im Wahlkampf seine Absicht bekundet hat, in den Universitäten all jene Fächer zu schließen, die nicht zu unmittelbar auf dem Arbeitsmarkt verwertbaren Qualifikationen führen. Im Klartext: weg mit Philosphie und alten Sprachen, statt dessen mehr Studienplätze in Ökonomie, BWL, Informatik. Nach der Stimmung auf der heutigen Veranstaltung zu urteilen, wird sich diese Absicht in Paris VIII nicht umstandslos umsetzen lassen.
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--[[User:Jutta Schwarzkopf|Jutta Schwarzkopf]]
  
 
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Revision as of 09:15, 15 May 2007

Noteboard

  • The English Language Help Center (ELHC) started offering its services: If you need assistance in areas such as Writing, Presentations, Communication, etc., you are welcome to place your name on the sign-up sheet outside of Lauren Freede´s office door (A6 2-221).
  • Leitfaden zur Abfassung wissenschaftlicher Arbeiten in Anglistik is now available for download: style sheet Außerdem ein Link zu einer HP mit Beispielen einer Bibliographie im MLA Style: [1]
  • Hilfreiche Tipps für Erstsemester:
  • Evaluation: forms and results can be found here


This Week's Blog

is offered by Jennifer Rogers, who has been here since February, an exchange student from the University at South Dakota. Jennifer is taking courses in English.

Commentary and interaction will be welcome...

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May 15, 2007, Paris

Hallo, ich bin Jutta Schwarzkopf, und diese Woche ist es an mir, zu diesem blog beizutragen. Wie einige vielleicht wissen, bin ich zur Zeit nicht in Oldenburg, sondern lehre seit Ende Februar an der Universität Paris VIII. Dies ist einerseits eine typische banlieue-Universität - in diesem Falle handelt es sich um einen Ort unmittelbar nördlich von Paris -, andererseits ist sie aber besonders, denn sie wurde als Reaktion auf die Ereignisse des Mai 1968 in Frankreich gegründet als eine bewußte Alternative zum herkömmlichen hiesigen Universitätssystem. Die Diskussion über das Maß der zwischenzeitlichen Veränderungen ist noch in vollem Gange, und damit bin ich direkt beim Thema des heutigen blog. Gewöhnlich veranstalte ich am Montag Nachmittag ein Seminar für BA-Studierende im dritten Jahr, das von 15-18 Uhr stattfindet, wie alle Lehrveranstaltungen also drei Stunen dauert. Es hat ein wenig gedauert, bis ich mich an diesen Arbeitsrhythmus gewöhnt hatte. Heute aber war alles etwas anders, denn heute fanden die Etats Généraux statt. Hierbei handelt es sich um eine Uni-Vollversammlung unter Beteiligung aller Statusgruppen. Normalerweise hieße eine solche Veranstaltung Assemblée Générale, doch die Bezeichnung Etats Généraux, die mich sofort an die Französische Revolution denken ließ, war mit Bedacht gewählt worden, signalisiert sie doch mit ihrem Bezug auf den Vorlauf zu den Ereignissen von 1789 das Bestreben nach mehr oder weniger tiefgreifender Veränderung. Um den Bezug zur Revolution komplett zu machen, waren zur Vorbereitung der heutigen Veranstaltung cahiers des doléances gesammelt worden, d.h. die Studierenden hatten die Möglichkeit, in den einzelnen Seminaren zu äußern, was ihnen an der Universität gefällt und welche Veränderungen sie sich wünschen. Diese doléances wurden dann auf Institutsebene zu einer Synthese zusammengeführt und sodann der Vorbereitungsgruppe für die heutige Veranstaltung zugeleitet. Dementsprechend gliederte sich diese in einen Teil, in dem es um die Belange der Studierenden ging, einen weiteren, in dem die Belange der Lehrenden im Mittelpunkt standen, wobei immer wieder auch die Arbeitsbedingungen jener Statusgruppe zur Sprache kam, die bei uns MTV heißt, hier aber unter der wohlklingenden Abkürzung IATOS firmiert. Eröffnet wurde die Veranstaltung vom Präsidenten der Uni. Seine Rede war ein gutes Beispiel für die Meisterung der akademischen Rhetorik, die hierzulande einen Akademiker oder eine Akademikerin auszeichnet. Inhaltlich wies er sich, von Haus aus Jurist, als Fürsprecher der Bewahrung des humanistischen und republikanischen Erbes aus, aus dem die Universität als Institution hervorgegangen ist. Auf dieser Grundlage übte er deutliche Kritik an den Plänen des neugewählten Präsidenten der Republik, der im Wahlkampf seine Absicht bekundet hat, in den Universitäten all jene Fächer zu schließen, die nicht zu unmittelbar auf dem Arbeitsmarkt verwertbaren Qualifikationen führen. Im Klartext: weg mit Philosphie und alten Sprachen, statt dessen mehr Studienplätze in Ökonomie, BWL, Informatik. Nach der Stimmung auf der heutigen Veranstaltung zu urteilen, wird sich diese Absicht in Paris VIII nicht umstandslos umsetzen lassen.

--Jutta Schwarzkopf