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==May 15, 2007, Paris ==
 
==May 15, 2007, Paris ==
  
Hallo, ich bin Jutta Schwarzkopf, und diese Woche ist es an mir, zu diesem blog beizutragen. Wie einige vielleicht wissen, bin ich zur Zeit nicht in Oldenburg, sondern lehre seit Ende Februar an der Universität Paris VIII. Dies ist einerseits eine typische banlieue-Universität - in diesem Falle handelt es sich um einen Ort unmittelbar nördlich von Paris -, andererseits ist sie aber besonders, denn sie wurde als Reaktion auf die Ereignisse des Mai 1968 in Frankreich gegründet als eine bewußte Alternative zum herkömmlichen hiesigen Universitätssystem. Die Diskussion über das Maß der zwischenzeitlichen Veränderungen ist noch in vollem Gange, und damit bin ich direkt beim Thema des heutigen blog. Gewöhnlich veranstalte ich am Montag Nachmittag ein Seminar für BA-Studierende im dritten Jahr, das von 15-18 Uhr stattfindet, wie alle Lehrveranstaltungen also drei Stunen dauert. Es hat ein wenig gedauert, bis ich mich an diesen Arbeitsrhythmus gewöhnt hatte. Heute aber war alles etwas anders, denn heute fanden die Etats Généraux statt. Hierbei handelt es sich um eine Uni-Vollversammlung unter Beteiligung aller Statusgruppen. Normalerweise hieße eine solche Veranstaltung Assemblée Générale, doch die Bezeichnung Etats Généraux, die mich sofort an die Französische Revolution denken ließ, war mit Bedacht gewählt worden, signalisiert sie doch mit ihrem Bezug auf den Vorlauf zu den Ereignissen von 1789 das Bestreben nach mehr oder weniger tiefgreifender Veränderung. Um den Bezug zur Revolution komplett zu machen, waren zur Vorbereitung der heutigen Veranstaltung cahiers des doléances gesammelt worden, d.h. die Studierenden hatten die Möglichkeit, in den einzelnen Seminaren zu äußern, was ihnen an der Universität gefällt und welche Veränderungen sie sich wünschen. Diese doléances wurden dann auf Institutsebene zu einer Synthese zusammengeführt und sodann der Vorbereitungsgruppe für die heutige Veranstaltung zugeleitet. Dementsprechend gliederte sich diese in einen Teil, in dem es um die Belange der Studierenden ging, einen weiteren, in dem die Belange der Lehrenden im Mittelpunkt standen, wobei immer wieder auch die Arbeitsbedingungen jener Statusgruppe zur Sprache kam, die bei uns MTV heißt, hier aber unter der wohlklingenden Abkürzung IATOS firmiert. Eröffnet wurde die Veranstaltung vom Präsidenten der Uni. Seine Rede war ein gutes Beispiel für die Meisterung der akademischen Rhetorik, die hierzulande einen Akademiker oder eine Akademikerin auszeichnet. Inhaltlich wies er sich, von Haus aus Jurist, als Fürsprecher der Bewahrung des humanistischen und republikanischen Erbes aus, aus dem die Universität als Institution hervorgegangen ist. Auf dieser Grundlage übte er deutliche Kritik an den Plänen des neugewählten Präsidenten der Republik, der im Wahlkampf seine Absicht bekundet hat, in den Universitäten all jene Fächer zu schließen, die nicht zu unmittelbar auf dem Arbeitsmarkt verwertbaren Qualifikationen führen. Im Klartext: weg mit Philosphie und alten Sprachen, statt dessen mehr Studienplätze in Ökonomie, BWL, Informatik. Nach der Stimmung auf der heutigen Veranstaltung zu urteilen, wird sich diese Absicht in Paris VIII nicht umstandslos umsetzen lassen.
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Nach den außerordentlichen Ereignissen des gestrigen Tages mit den Etats généraux bin ich heute zu meiner Pariser Routine zurückgekehrt. Da heute Dienstag ist, bin ich erst einmal auf dem Markt einkaufen gegangen. Dazu sollte ich kurz erklären, wo ich wohne: in der nordöstlichsten Ecke des 11. Arrondissement, das im Norden an das 10. Arrondissement grenzt, im Osten an das 20. Der Teil des 20. Arrondissement, der sich direkt östlich an das 11. anschließt, ist das quartier Belleville, ein ausgeprägtes Einwandererviertel. An der Avenue Belleville, welche die Grenze zwischen 11. und 20. bildet, befindet sich eine Synagoge für die jüdischeen Gemeinde. Außerdem leben hier viele Menschen aus China, überwiegend jedoch Menschen aus Nordafrika. Der meiner Wohnung am nächsten gelegene Markt findet immer dienstags und freitags auf dem Boulevard de Belleville statt, der die Grenze zwischen beiden Arrondissements bildet. Obwohl auf dem Markt immer fürchterliches Gedränge herrscht, macht mir das Einkaufen dort viel Spaß. Die meisten Händler wie auch die meisten Einkaufenden kommen aus Nordafrika, so daß viel Arabisch zu hören ist. Außerdem haben viele Händler, die nicht müde werden, lauthals ihre Waren anzupreisen, einen ausgeprägten arabischen Akzent, wenn Sie französisch sprechen. Zuerst mußte ich mich daran gewöhnen, daß jedes Mal, wenn ich im Vorbeigehen auch nur einen Blick auf die ausgestellten Waren warf, ich sofort angesprochen wurde und sie mir in denleuchtendsten Farben angepriesen wurden. Inzwischen macht es mir viel Spaß, jeden Einkauf mit einem kleinen Wortgeplänkel zu verbinden.
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Am Nachmittag dann wurde es wie immer dienstags ernst, und ich fuhr zur Uni hinaus. Das ist sehr bequem, denn es gibt eine Metro-Linie, die an der Station St Denis-Université endet. Wenn man den Metro-Bahnhof verläßt, braucht man nur eine Straße zu überqueren und befindet sich vor dem Eingang der Uni. Da der gesamte Campus umzäunt ist, gibt es nur diesen einen Zugang. Als erstes gelangt man in eine große Eingangshalle, in der immer etwas los ist. Es stehen Tische dort mit Agitationsmaterialien der unterschiedlichsten politischen und kulturellen Gruppen, und man kann die Halle selten durchqueren, ohne mit allen möglichen Flugzetteln, die alle möglichen Arten von Veranstaltungen ankündigen, ausgestattet zu werden. Von dieser Halle aus wende ich mich zum Batiment B - anders als in Oldenburg sind die Gebäude nicht numeriert, sondern alphabetisiert -, in dessen 2. Etage sich das Seminar für Anglistik, das Département d'Etudes des Pays Anglophones, befindet. Der 'Sitz' des Seminars besteht aus dem Sekretariat, das zu seinen Öffnungszeiten genauso umlagert ist wie das Büro von Frau Severin, zwei ganz kleinen Büroräumen, in denen man seine Sprechstunde abhalten kann, sowie einem Raum, der offiziell salle des enseignants heißt, den ich für mich aber immer nur Lehrerzimmer nenne. Er hat ungefähr die Größe zweier Oldenburger Büros, enthält unsere Postfächer, einen Stahlschrank, einen PC mit Drucker sowie einen Tisch mit ca. 10 Stühlen. Für mehr Personen wäre auch kein Platz. Hier halten sich immer nur gerage jene Lehrenden auf, die kurz vor dem Abmarsch in ihre jeweiligen Seminare stehen. Das heißt, daß ich nur jene KollegInnen kennengelernt habe, die wie ich montags und dienstags von 15-18 Uhr Lehrveranstaltung haben.
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Für meinen Masters-Kurs am Dienstag verlasse ich Batiment B und gehe über den Campus zum Batiment D, dem neuesten Gebäude auf dem Campus, das sich daher noch in einem guten Zustand befindet, was für die anderen Gebäude nicht mehr gilt. Mein MA-Kurs zur Interdependenz von Industrialisierung und geschlechtsbezogener Arbeitsteilung wird von Studierenden aus einer bunten Mischung von Fächern besucht: Geschichte, Übersetzungswissenschaft, Ökonomie etc. Die Hälfte von ihnen kommt aus Nordafrika. Wie auch bei uns werden die Seminare auf englisch durchgeführt, was eine Geschichtsstudentin in der ersten Sitzung sehr schockierte. Sie nimmt daher absprachegemäß auf französisch teil, hat heute eine presentation (frz. expósé) auf französisch gehalten, und das Ganze hat sich problemlos entwickelt. Was ich hier sehr genieße, sind die kleinen Kurse: 5 Studierende im Master-Kurs, 13 Studierende im BA-Kurs des 3. Jahres. Diese Kursfrequenzen liegen durchaus im statistischen Mittel. Nach Kursende um 18 Uhr bin ich wieder in die Metro gestiegen, und bis zum nächsten Montag wird mich die Uni auch nicht wiedersehen. Das ist durchaus so üblich, denn da niemand an der Uni ein Büro hat, kann man dort beim besten willen nicht arbeiten außerhalb der Lehrveranstaltungen. Selbst in den nur zwei Wochen dauernden Osterferien war die Uni bis auf das Hauptgebäude mit der Bibliothek geschlossen und für niemanden zugänglich.
  
 
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Revision as of 08:37, 16 May 2007

Noteboard

  • The English Language Help Center (ELHC) started offering its services: If you need assistance in areas such as Writing, Presentations, Communication, etc., you are welcome to place your name on the sign-up sheet outside of Lauren Freede´s office door (A6 2-221).
  • Leitfaden zur Abfassung wissenschaftlicher Arbeiten in Anglistik is now available for download: style sheet Außerdem ein Link zu einer HP mit Beispielen einer Bibliographie im MLA Style: [1]
  • Hilfreiche Tipps für Erstsemester:
  • Evaluation: forms and results can be found here


This Week's Blog

is offered by Jutta Schwarzkopf, one of the Oldenburg-Anglistik staff, who can presently report from Paris, where she is teaching at the University of Paris VIII: Vincennes - Saint-Denis.

Commentary and interaction will be welcome...

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May 15, 2007, Paris

Nach den außerordentlichen Ereignissen des gestrigen Tages mit den Etats généraux bin ich heute zu meiner Pariser Routine zurückgekehrt. Da heute Dienstag ist, bin ich erst einmal auf dem Markt einkaufen gegangen. Dazu sollte ich kurz erklären, wo ich wohne: in der nordöstlichsten Ecke des 11. Arrondissement, das im Norden an das 10. Arrondissement grenzt, im Osten an das 20. Der Teil des 20. Arrondissement, der sich direkt östlich an das 11. anschließt, ist das quartier Belleville, ein ausgeprägtes Einwandererviertel. An der Avenue Belleville, welche die Grenze zwischen 11. und 20. bildet, befindet sich eine Synagoge für die jüdischeen Gemeinde. Außerdem leben hier viele Menschen aus China, überwiegend jedoch Menschen aus Nordafrika. Der meiner Wohnung am nächsten gelegene Markt findet immer dienstags und freitags auf dem Boulevard de Belleville statt, der die Grenze zwischen beiden Arrondissements bildet. Obwohl auf dem Markt immer fürchterliches Gedränge herrscht, macht mir das Einkaufen dort viel Spaß. Die meisten Händler wie auch die meisten Einkaufenden kommen aus Nordafrika, so daß viel Arabisch zu hören ist. Außerdem haben viele Händler, die nicht müde werden, lauthals ihre Waren anzupreisen, einen ausgeprägten arabischen Akzent, wenn Sie französisch sprechen. Zuerst mußte ich mich daran gewöhnen, daß jedes Mal, wenn ich im Vorbeigehen auch nur einen Blick auf die ausgestellten Waren warf, ich sofort angesprochen wurde und sie mir in denleuchtendsten Farben angepriesen wurden. Inzwischen macht es mir viel Spaß, jeden Einkauf mit einem kleinen Wortgeplänkel zu verbinden. Am Nachmittag dann wurde es wie immer dienstags ernst, und ich fuhr zur Uni hinaus. Das ist sehr bequem, denn es gibt eine Metro-Linie, die an der Station St Denis-Université endet. Wenn man den Metro-Bahnhof verläßt, braucht man nur eine Straße zu überqueren und befindet sich vor dem Eingang der Uni. Da der gesamte Campus umzäunt ist, gibt es nur diesen einen Zugang. Als erstes gelangt man in eine große Eingangshalle, in der immer etwas los ist. Es stehen Tische dort mit Agitationsmaterialien der unterschiedlichsten politischen und kulturellen Gruppen, und man kann die Halle selten durchqueren, ohne mit allen möglichen Flugzetteln, die alle möglichen Arten von Veranstaltungen ankündigen, ausgestattet zu werden. Von dieser Halle aus wende ich mich zum Batiment B - anders als in Oldenburg sind die Gebäude nicht numeriert, sondern alphabetisiert -, in dessen 2. Etage sich das Seminar für Anglistik, das Département d'Etudes des Pays Anglophones, befindet. Der 'Sitz' des Seminars besteht aus dem Sekretariat, das zu seinen Öffnungszeiten genauso umlagert ist wie das Büro von Frau Severin, zwei ganz kleinen Büroräumen, in denen man seine Sprechstunde abhalten kann, sowie einem Raum, der offiziell salle des enseignants heißt, den ich für mich aber immer nur Lehrerzimmer nenne. Er hat ungefähr die Größe zweier Oldenburger Büros, enthält unsere Postfächer, einen Stahlschrank, einen PC mit Drucker sowie einen Tisch mit ca. 10 Stühlen. Für mehr Personen wäre auch kein Platz. Hier halten sich immer nur gerage jene Lehrenden auf, die kurz vor dem Abmarsch in ihre jeweiligen Seminare stehen. Das heißt, daß ich nur jene KollegInnen kennengelernt habe, die wie ich montags und dienstags von 15-18 Uhr Lehrveranstaltung haben. Für meinen Masters-Kurs am Dienstag verlasse ich Batiment B und gehe über den Campus zum Batiment D, dem neuesten Gebäude auf dem Campus, das sich daher noch in einem guten Zustand befindet, was für die anderen Gebäude nicht mehr gilt. Mein MA-Kurs zur Interdependenz von Industrialisierung und geschlechtsbezogener Arbeitsteilung wird von Studierenden aus einer bunten Mischung von Fächern besucht: Geschichte, Übersetzungswissenschaft, Ökonomie etc. Die Hälfte von ihnen kommt aus Nordafrika. Wie auch bei uns werden die Seminare auf englisch durchgeführt, was eine Geschichtsstudentin in der ersten Sitzung sehr schockierte. Sie nimmt daher absprachegemäß auf französisch teil, hat heute eine presentation (frz. expósé) auf französisch gehalten, und das Ganze hat sich problemlos entwickelt. Was ich hier sehr genieße, sind die kleinen Kurse: 5 Studierende im Master-Kurs, 13 Studierende im BA-Kurs des 3. Jahres. Diese Kursfrequenzen liegen durchaus im statistischen Mittel. Nach Kursende um 18 Uhr bin ich wieder in die Metro gestiegen, und bis zum nächsten Montag wird mich die Uni auch nicht wiedersehen. Das ist durchaus so üblich, denn da niemand an der Uni ein Büro hat, kann man dort beim besten willen nicht arbeiten außerhalb der Lehrveranstaltungen. Selbst in den nur zwei Wochen dauernden Osterferien war die Uni bis auf das Hauptgebäude mit der Bibliothek geschlossen und für niemanden zugänglich.

--Jutta Schwarzkopf